TTIP, CETA und TISA

Rede von Dr. Elke Therre-Staal zur „Barcelona-Erklärung“ 

Sehr verehrte Frau Stadtverordnetenvorsteherin, sehr geehrte Magistratsmitglieder, meine Damen und Herrn!

Ich widme diese Rede Jo Cox, einer tapferen, klugen und kämpferischen englischen Politikerin, die uns ein Vorbild ist.

Zum Antrag: die Stadt Marburg möge sich auf Grund eines Magistratsbeschlusses dem europaweiten Netzwerks von derzeit 40 Kommunen anschließen. Es ist gegen das Freihandelsabkommen CETA gerichtet und will verhindern, dass es zu den Abkommen TTIP und TISA kommt. TTIP ist die Abkürzung für die Transatlantische Handels- und Investitionspartnerschaft. CETA bedeutet Comprehensive Economic Trade Agreement und TISA Trade in Services Agreements.

Bevor ich auf den Inhalt des Antrags komme, möchte ich mich bei Ihnen allen bedanken. Dies ist meine erste Rede in dieser Legislaturperiode, und ich vertraue auf die Erfahrung, die ich bei meinen vorherigen Reden machen durfte: Sie haben mir stets mit großer Aufmerksamkeit zugehört.

Für die soziale Gerechtigkeit und die Freiheit und die Menschenwürde ist ein Handelsabkommen mit den USA und mit Kanada ein solcher Traum? Es heißt, die Globalisierung wird gestaltet. Die Senkung von Zöllen zwischen den Wirtschafträumen USA, der Zugang zur öffentlichen Auftragsvergabe und die Entwicklung gemeinsamer technischer Standards fördere neue Arbeitsplätze in der europäischen Industrie.

Meine Damen und Herren, es ist kein Traum, es ist ein Alptraum!

Ich warne davor. Denn nur der Staat reguliert eine gewinnorientierten Marktwirtschaft.

Mit TTIP soll erreicht werden, dass jeder Gesetzentwurf vor der Verabschiedung im EU-Parlament den sogenannten Stakeholdern, den Interessengruppen, vorgelegt wird. Diese sogenannte regulatorische Kooperation führt dazu, dass Lobbyisten auf die Pläne der Regierung Einfluss nehmen. Aber es geht eigentlich noch um etwas ganz Anderes von enormer politischer und gesellschaftlicher Relevanz: Die Demokratie wird ausgehebelt!

TTIP, CETA und TiSA gefährden die kommunale Selbstverwaltung. Eine Privatisierungswelle droht, soziale Dienstleistungen, von den Kommunen und Wohlfahrtsverbänden erbracht, müssten künftig über den Atlantik hinweg ausgeschrieben und an renditeorientierte Privatunternehmen vergeben werden. Unternehmen könnten Schadensersatz fordern, wenn öffentliche Auflagen ihre Gewinnerwartungen einschränken, denn die Investoren hätten ein Sonderklagerecht. Marburg könnte verklagt werden, wenn ein bedeutender transatlantischer Investor sich die Verkaufsfläche einer geplanten Einkaufsmeile nicht begrenzen lassen will. Und bei Absage den Gewinnverlust einklagt.

Wir haben doch schon mit der Privatisierung unsere schmerzhaften Erfahrungen direkt vor Ort, wo wirtschaftlich orientierte Gewinnmaximierung im Widerspruch zum ethische ärztlichen Handeln stehen:

„Ein profitorientiertes Gesundheitswesen ist ein Widerspruch in sich. In dem Augenblick, in dem Fürsorge dem Profit dient, hat sie die wahre Fürsorge verloren.“ Zitat  von Bernhard Lown, Arzt und Wissenschaftler.

Der frühere Verfassungsrichter Siegfried Broß, der bis 2010 Richter am Bundesverfassungsgericht war, hat gutachterlich festgestellt, dass nur staatlich besetzte Schiedsgerichte verfassungskonform seien, hingegen die Klauseln zum Investorenschutz und den privaten Schiedsgerichten gegen das Grundgesetz verstoßen und mit den Prinzipien des Völkerrechts kollidieren. Weder die öffentliche Daseinsvorsorge, die hohen Verbraucher- und Umweltstandards in der EU noch kulturelle und audiovisuelle Dienstleistungen sind für das Europäische Parlament verhandelbar.

Die Vorsitzende der kanadischen Bürgerrechtsbewegung Council of Canadians, Maude Barlow, warnt alle Europäer vor dem kanadischen CETA und dem amerikanischen TTIP.

Neue Gesetze im Arbeits- und Steuerrecht oder im Gesundheitswesen, in Maßnamen zum Umweltschutz ( ich verweise auf fracking ) und im Verbraucherschutzbereich könnten als investitionsschädigend beklagt werden.

Meine Damen und Herrn! Es geht erst in zweiter Linie um freien Handel. Tochterfirmen aus den USA, in Kanada ansässig, können über den Umweg des CETA-Abkommens europäische Regierungen verklagen. Einklagbare Pflichten für Investoren gibt es nicht. Der drohende oder umgesetzte Einsatz teurer Schadensersatzklagen setzt die Regierung so unter Druck, dass der Vertrag mit TTIP geheim verhandelt wird und unter Umgehung der Bürgerinnen und Bürger verabschiedet werden soll. Zur Zeit besteht die Gefahr, dass CETA ohne Zustimmung des Bundestages in Kraft gesetzt wird als sogenannte “vorläufige Anwendung“, die Jahre dauern kann, denn im Februar hatte die Europäische Kommission die Verhandlungen mit Kanada abgeschlossen.

Dass es die Aufgabe von Spitzenverbänden ist, insbesondere dem Spitzenverband der deutschen Industrie, der Politik, falls diese sich verzettelt, ein Stück Orientierung zu geben, ist in dem Zusammenhang bemerkenswert, zitiert aus einer Pressemitteilung , geäußert vom Nachfolger ab 2017 des jetzigen BDI-Präsidenten.

Meine Damen und Herren! Wir verzetteln uns nicht, wir sind klar in unserem Forderungskatalog und in der Barcelona-Erklärung. Ich denke, es ist kein Zufall, dass jetzt multinationale Großkonzerne zuschlagen mit der Tendenz, den Staat zu entmachten. Denn mehr und mehr fordern Bürgerinnen und Bürger eine direkte politische Beteiligung auf regionaler und nationaler Ebene: Lebensmittel im übertragenen und wörtlichen Sinne sind ein Menschenrecht und nicht Objekte von Spekulationsgewinnen. Teure Medikamente dürften nicht mehr durch billigere Nachahmerprodukte ersetzt werden. Die Krankenkassen hätten keinen Einfluss mehr auf die Preise. Viele Pestizide sind bei uns verboten und unsere Rückstandswerte z.B. bei Obst sind strenger. Es geht um Wasser, um Saatgut, um Infrastrukturen einschließlich von Nutzungsrechten wie Patente und Lizenzgebühren, faire Einkommen für Landwirte. Aber mit TTIP werden wieder Legebatterien und Hormone bei der Viehzucht erlaubt, Futtermittel gentechnisch verändert. Die Kennzeichnung von Nanotechnologie, dem Einsatz kleinster Teilchen in Lebensmitteln oder Kosmetika, ist bei uns Pflicht, in den USA nicht. Der Schutz geografischer Herkunftsbezeichnungen also Spezialitäten wie Allgäuer Emmentaler, Steirisches Kürbiskernöl usw. wird aufgehoben, wenn wir TTIP befürworten.

Meine Damen und Herren, danke, dass Sie bisher zugehört haben, ich komme zum nächsten Punkt: Es geht auch um unsere Kultur. Viele Einrichtungen werden stattlich subventioniert. US-Firmen können das als Handelshemmnis betrachten und per Gerichtsurteil Schließungen erzwingen. Die Buchpreisbindung kann mit TTIP dem freien Spiel der Machtinteressen geopfert werden

Wir wollen nicht zugunsten von Industrieinteressen die Grundlagen unseres Demokratieverständnisses und unserer Lebensqualität über Bord werfen!

Das Europäische Parlament ist das demokratische Gewissen der Europäischen Union. Der Mangel an Transparenz und die Geheimhaltung der Vertragsentwürfe sind das Warnsignal, das uns alle aufrüttelt. Wir wollen fairen Handel, keine gewissenlose Ausbeutung von denen, die sich nicht wehren können oder Angst haben, den Mund aufzumachen.

Mit der Barcelona- Erklärung lassen wir uns das kritische Wort nicht verbieten, das Denken nicht verbiegen. Die Werte Solidarität, Respekt vor Freiheit und Gerechtigkeit sind unsere Grundlagen für Völkerverständigung und für die Gemeinschaft als Ganzes. Die Rechte und Regeln für ein soziales, ökonomisches, eine gesunde Umwelt, Menschenwelt, Tier- und Pflanzenwelt wollen wir nicht nur erhalten, sondern Einbeziehung der Bürgerinnen und Bürger fördern und stärken.

Sie, wir!! meine Damen und Herren, fordern, dass die laufenden Verhandlungen bezüglich TTIP und TISA ausgesetzt werden. Die Europäische Debatte um faire, soziale und ökonomische Bedingungen muss fortgesetzt werden.

Unsere europäischen Interessen und Standards wollen wir durch ein neues Mandat vertreten und sichern.

Gemeinsam mit dem Europäischen Parlament, dem Europarat und den nationalen Regierungen darf es keine Zustimmung zu CETA und TTIP geben.

Lassen Sie uns gemeinsam als Vertreter der Stadt der Vielfalt der Nationen und Kulturen, der Stadt hoher sozialer Standards und einer verantwortungsvollen Willkommens- und Bleibekultur die Barcelona-Erklärung befürworten.

Treten wir als eine Kommune, die soziale Verantwortung sehr wohl mit wirtschaftlichen Interessen zu vereinen weiß, dem Netzwerk freier Stadtregierungen aus neun Ländern bei.

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