"Jäger"-Stein - Kein Denkmal für kritischen Geschichte

Die Aussage des pensionierten Generalmajors Estorf bei der Enthüllung vor einigen Wochen, die Aufstellung des Steins sei „Teil eines ‚Respektes vor der Geschichte dieser Region’“ ist schwer nachvollziehbar, denn der Stein war doch schon seit vielen Jahrzehnten in der Region – sogar an unterschiedlichen Standorten.  Der Stein des Anstoßes stand ursprünglich an den Schießständen in der Marburger Knutzbach (heute Stadtteil Waldtal), war dann in der Tannenbergkaserne und kam dann zur Kaserne nach Neustadt. Die Region hat also bereits einiges von diesem Stein gehabt, die letzte Etappe nach Bortshausen – wo er von Teilen der Bevölkerung als missliebiger Fremdkörper empfunden wird - hätte durchaus unterbleiben können.

Offensichtlich war der Kameradschaft Marburger Jäger relativ bald klar, dass es schwierig sein dürfte eine plausible Erklärung und Begründung für die Aufstellung des Steines zu finden.

Also was macht man, man deutet den historischen Stein einfach um. Jetzt soll er an die Toten aller Kriege erinnern und an die Toten – Zitat – „die durch den Kommunismus zu beklagen seien“ – so in einem Leserbrief in der Oberhessischen Presse.

Seit einigen Tagen heißt es sogar, er sei „nur ein alter historischer Stein ohne militärischen Charakter auf die heutige Zeit bezogen“, eigentlich sei „der Obelisk ein Friedensdenkmal“.

Da kann man nur ungläubig den Kopf schütteln, ein moderner Friedensobelisk mit der Aufschrift „Mit Gott für König und Vaterland.“

Am Ende will uns die Kameradschaft Marburger Jäger die Enthüllung am 27. August - flankiert von bundeswehruniformierten Fackelträgern und Blasmusik – sogar noch als Friedensdemonstration verklären.

Meine Damen und Herren, das ist des Guten dann doch etwas zuviel.

Ich bleibe dabei, der Stein gehört in ein Museum oder aber -  wie viele Jahrzehnte zuvor -  auf militärisches Gelände, keinesfalls in das kleine beschauliche Bortshausen.

Dieses Denkmal ist auch keine Privatangelegenheit eines eingetragenen Vereins, es ist eine höchst öffentliche und politische Angelegenheit.

Allerdings sollte der Stein, käme er in ein Museum, um mindestens 2 Daten ergänzt werden.

Es sollte nämlich auch an Einsätze der Marburger Jäger in den Jahren 1900 und 1904 erinnert werden.

Im Jahr 1900 waren Marburger Jäger Teil des internationalen Expeditionskorps unter dem Befehl des deutschen Feldmarschalls Graf von Waldersee, das in China den Aufstand der „Faustkämpfer der gerechten Harmonie“, der sog. Boxer niederschlug. Es handelte sich um eine antikoloniale Bewegung gegen die europäischen Kolonialmächte, sowie gegen die USA und Japan.

Kaiser Wilhelm II. hielt bei der Verabschiedung eines Teils der deutschen Truppen seine berüchtigte „Hunnenrede“.

„...Kommt ihr vor den Feind, so wird er geschlagen. Pardon wird nicht gegeben, Gefangene nicht gemacht. Wer euch in die Hände fällt, sei in eurer Hand. Wie vor tausend Jahren die Hunnen unter ihrem König Etzel sich einen Namen gemacht, der sie noch jetzt in der Überlieferung gewaltig erscheinen läßt, so möge der Name Deutschlands in China in einer solchen Weise bekannt werden, daß niemals wieder ein Chinese es wagt, etwa einen Deutschen auch nur scheel anzusehen![1]

Meine Damen und Herren,

wir können froh sein, dass die Chinesen diesbezüglich nicht nachtragend sind, es sähe sonst schlecht aus um die chinesisch-deutschen Beziehungen.

Die Folgen dieses Einsatzes sind übrigens noch auf vielen Fotos und Filmen nachzuvollziehen, Berge von chinesischen Leichen und abgeschlagenen Köpfen.

Heute am Freitag, dem 30. September 2011 ist für Namibia ein wichtiges Datum und dies hängt auch unmittelbar mit dem Thema zusammen über das wir hier reden.

Der Berliner Tagesspiegel schrieb gestern unter der Überschrift „Genozid in Afrika – Ermordet, präpariert und erforscht“:„Nach über 100 Jahren gibt die Charité Namibia Schädel von Opfern des deutschen Genozids an Herero und Nama zurück. Noch heute lagern vermutlich tausende Präparate und Gebeine in den Depots und Sammlungen von deutschen Museen.“

1904 fand am Waterberg zwischen den Herero und den Nama, die gegen die Unterdrückung durch die deutsche Kolonialmacht rebelliert hatten, eine Schlacht statt, die in einem Vernichtungsfeldzug endete. Der Kommandeur General von Trotha – der auch schon 1900 in China dabei war - ließ zehntausende Herero in die wasserlose Omaheke-Wüste treiben und dort verdursten. Andere wurden in Konzentrationslager gebracht und starben dort an Seuchen, Unterernährung und den Folgen der Zwangsarbeit. Rund 80 Prozent der 80.000 Herero und 10 Prozent der Nama fanden den Tod.

Meine Damen und Herren, die afrikanische Kolonialgeschichte hat diese Woche Deutschland und auch Marburg eingeholt, zufällig in der Woche, in der wir über die Marburger Jäger und das Denkmal reden.

Im Marburger Almanach – Heimatjahrbuch für die Stadt Marburg 1981 - heißt es in dem Beitrag von Hans Huber „Militär-Tradition“ in Marburg – ich zitiere:

„In der Kolonie Deutsch-Südwest-Afrika wurden die 11er Jäger mit anderen Einheiten gegen den aufständischen Hererostamm in den Jahren 1904 bis 1905 eingesetzt. Hier waren die Jäger schon mit dem Gewehr 98k umgerüstet.“ (Modernes Mausergewehr mit 5 Schuß-Magazin).

Mit anderen Worten, die 11er Jäger aus Marburg waren 1904/1905 an dem Völkermord in Namibia beteiligt.

Im Jahr 2004 zur Gedenkfeier der hundertsten Wiederkehr der Schlacht am Waterberg reiste die damalige Entwicklungshilfeministerin Wieczorek-Zeul im Auftrag der Bundesregierung nach Namibia und hielt folgende Rede: „Es ist für mich eine Ehre, heute an Ihren Gedenkfeierlichkeiten teilnehmen zu dürfen. Ich danke Ihnen dafür, dass ich als deutsche Ministerin für wirtschaftliche Entwicklung und Zusammenarbeit, als Vertreterin der Deutschen Bundesregierung und des Deutschen Bundestages hier zu Ihnen sprechen darf. Ich bin aber auch hier, um Ihnen zuzuhören.
Es gilt für mich an diesem Tage, die Gewalttaten der deutschen Kolonialmacht in Erinnerung zu rufen, die sie an Ihren Vorfahren beging, insbesondere gegenüber den Herero und den Nama.
Ich bin mir der Gräueltaten schmerzlich bewusst:

Die deutschen Kolonialherren hatten Ende des 19. Jahrhunderts die Bevölkerung von ihrem Land vertrieben. Als sich die Herero, als sich Ihre Vorfahren dagegen wehrten, führten die Truppen des General von Trotha gegen sie und die Nama einen Vernichtungskrieg. In seinem berüchtigten Schießbefehl hatte General von Trotha befohlen, jeden Herero zu erschießen - auch Frauen und Kinder nicht zu schonen.

(…)

Bereits 1904 gab es auch in Deutschland Gegner dieses Unterdrückungskrieges. Einer dieser Kritiker war der damalige Vorsitzende der Partei, der ich angehöre, August Bebel. Er hat die Unterdrückung der Herero im Deutschen Reichstag auf das Schärfste kritisiert und ihren Aufstand als gerechten Befreiungskampf gewürdigt. Darauf bin ich heute stolz.“ – so weit Heidemarie Wieczorek-Zeul.

August Bebel hatte übrigens mit folgenden Worten die deutsche Politik in Deutsch-Südwest-Afrika angeprangert: „Eine solche Kriegführung kann jeder Metzgerknecht treiben, dazu braucht man nicht General oder höherer Offizier zu sein.

Eine wichtige Rede der damaligen Ministerin Wieczorek-Zeul, die, wenn auch sehr spät, die Gräuel der deutschen Kolonialmacht öffentlich bekundete.

Zum Schluß meiner Rede möchte ich Ihnen ein Beispiel kritischer und  selbstkritischer Geschichtsaufarbeitung schildern, das mich sehr beeindruckt hat.

Die Neue Zürcher Zeitung (online) schrieb am 6. Dezember 2004:

Der General Lothar von Trotha hatte keine direkten Nachkommen, seine beiden Söhne verstarben kinderlos. Doch auch die weiter entfernten Verwandten des Generals tragen seit 100 Jahren an der Bürde ihres Namens, wenn er im Zusammenhang mit dem berüchtigten Vernichtungsbefehl ihres Vorfahren genannt wird. So entstand die Idee, das Gedenkjahr [2004] zum Anlass einer Geste der Versöhnung zu nehmen: Am 15.November 2004 begegneten sich die Familie von Trotha und Familienmitglieder des Maharero-Königshauses, um sich im Geiste der Versöhnung die Hand zu reichen.

Die deutsche evangelisch-lutherische Kirche in Namibia hatte die Begegnung vermittelt, die Evangelische Kirche in Deutschland (EKD) die Reise der Delegation finanziert.

«Die Familie von Trotha kann sich weder entschuldigen noch wieder gutmachen, was vor 100 Jahren geschehen ist», sagt Wolf-Thilo von Trotha, Vorsitzender des Familienverbandes. «Aber zumindest können wir den Nachkommen Samuel Mahareros zeigen, dass die von Trothas heute nicht mehr für Rassismus und Gewalt stehen, sondern für Versöhnung und Anerkennung des Schmerzes der Herero. Es war nicht leicht, sich den Tatsachen zu stellen. Aber wir haben diesen Schritt getan und auch schriftlich dokumentiert, so dass er Teil unserer Familiengeschichte werden kann.»

In einer Erklärung an den Gast aus Namibia drückt die Familie unmissverständlich ihr Bedauern darüber aus, dass Zehntausende von Herero zwischen 1904 und 1907 durch brutale und für sie heute unbegreifliche Aktionen der deutschen Schutztruppe unter Lothar von Trothas Befehl zu Tode kamen.

Meine Damen und Herren, ich habe große Hochachtung davor wie die heutigen Angehörigen der Familie von Trotha mit diesem düsteren Kapitel ihrer Familiengeschichte und der deutschen Kolonialgeschichte umgegangen sind.

Die Familie brachte ihre Scham und Trauer über die Vorgänge 1904 auf beeindruckende Weise zum Ausdruck.

Die „Kameradschaft Marburger Jäger 2. Panzergrenadierdivision“ schrieb in einer kürzlich erschienenen Presseerklärung:

„Kein Nachfahre braucht sich zu schämen, dass sein Urgroßvater ein Marburger Jäger war.“

Doch – ich bin der Meinung, dass man sich schämen muss, wenn der Großvater an einem Völkermord beteiligt war.

 

September 2011



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