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Autobahnen und Bundesstraßen privatisieren?
Kritische Anmerkungen gegen eine Verfassungsänderung zur Schaffung einer Bundesfernstraßengesellschaft
Die Bundesregierung und allen voran die Minister Wolfgang Schäuble und Alexander Dobrindt (seit 2018 Andreas Scheuer, ebenfalls CSU) betreiben den Aufbau einer Bundesfernstraßengesellschaft. Der Bund soll künftig nicht nur für die Finanzierung, sondern auch für den Bau, den Betrieb und die Unterhaltung der Autobahnen zuständig sein. Bisher sind das die Bundesländer.
Zum Hintergrund: Unsere Verfassung sieht vor, dass der Bund als Straßenbaulastträger die Bundesautobahnen und die Bundesstraßen finanziert. Bau, Betrieb und Unterhalt liegen aber in der Verantwortung der Länder. Sie verwalten die Autobahnen und Bundesstraßen im Auftrag des Bundes in so genannter „Bundesauftragsverwaltung“. In Hessen heißt die zuständige Behörde „Hessen Mobil“. Es soll der örtliche Bezug gegeben sein. Das ist der Sinn dieser Verfassungsnorm.
Die Bundesregierung wollte die Verwaltung der Auto-bahnen an sich ziehen und zentralisieren. Schäuble und Dobrindt versprachen sich davon ein leichteres Durchsetzen von Bundesinteressen. Außerdem ging man davon aus, dass der angeblichen Intransparenz der Länderverwaltungen besser entgegengewirkt werden könne. Als positive Privatisierungsbeispiele wurden die Bahn- und Postreform angeführt. Wieso der überall zu spürende Abbau von Serviceleistungen und die einseitige Ausrichtung auf Gewinnmaximierung sowohl bei der Bahn als auch bei der Post als positive Privatisierungsbeispiele gelten sollen, bleibt Schäubles Geheimnis. Außerdem ist bekannt, dass in der Vergangenheit immer wieder baureife Autobahnprojekte nicht begonnen werden konnten, weil der Bund die zugesagte Finanzierung nicht sicherstellte. Trotzdem wird nach wie vor behauptet, der Bund könne es besser als die Länder.
Es war ein tiefer Eingriff in unser Grundgesetz notwendig. Geändert wurden insgesamt 13 Grundgesetzartikel: die Artikel 74 Satz 22, 90, 91c, 104b, 104c, 107, 108, 109a, 114, 125c, 143d, 143e, 143f und 143g. Art. 85 GG (Bundesauftragsverwaltung durch die Länder) blieb seltsamerweise unangetastet. Vor allem Art. 90 GG (Bundesautobahnen und Bundesstraßen) in der neuen Fassung hat es in sich.
Der von der Bundesregierung beschlossene Gesetzentwurf zur Änderung des Grundgesetzes Art. 90 hat folgenden Wortlaut:
1. Der Bund ist Eigentümer der Bundesautobahnen und sonstigen Bundesstraßen des Fernverkehrs. Das Eigentum ist unveräußerlich.
2. Die Verwaltung der Bundesautobahnen wird in Bundesverwaltung geführt. Der Bund kann sich zur Erledigung seiner Aufgaben einer Gesellschaft privaten Rechts bedienen. Diese Gesellschaft steht im unveräußerlichen Eigentum des Bundes. Das Nähere regelt ein Bundesgesetz.
3. Die Länder oder die nach Landesrecht zuständigen Selbstverwaltungskörperschaften verwalten die sonstigen Bundesstraßen des Fernverkehrs im Auftrage des Bundes.
4. Auf Antrag eines Landes kann der Bund die sonstigen Bundesstraßen des Fernverkehrs, soweit sie im Gebiet dieses Landes liegen, in Bundesverwaltung übernehmen
Immerhin wurde die Kernaussage des Art. 90 Satz 1 nicht verändert: Das gesellschaftliche Vermögen „Bundesautobahnen und Bundesfernstraßen“ bleibt Eigentum der Allgemeinheit.
Problematisch aber wird es in Satz 2 des neuen Grundgesetzartikels. Die bisherige dezentrale Struktur der Autobahnverwaltung soll auf Bundesebene zentralisiert werden, und der Bund kann sich zur Erledigung seiner Aufgaben einer „Gesellschaft privaten Rechts“ bedienen! Diese Gesellschaft soll zwar im unveräußerlichen Eigentum des Bundes verbleiben, das „Nähere“ soll jedoch durch ein noch zu beschließendes Bundesgesetz bestimmt werden. Es droht die Teilprivatisierung in Form einer GmbH oder einer Aktiengesellschaft. Der Bund würde 50,1% der Anteile halten; 49,9% könnten an private Investoren vergeben werden. Das Unternehmen würde zunächst zwar mehrheitlich dem Bund gehören, die Investitionsentscheidungen würden aber der parlamentarischen Kontrolle entzogen und private Konzerne würden nach Kriterien der Gewinnmaximierung über Bau und Verwaltung unserer Bundesfernstraßen entscheiden. Nicht auszuschließen ist, dass der Bund eines Tages seinen Anteil schrittweise oder als Ganzes verkauft. Dann wäre die Bundesfernstraßengesellschaft zu hundert Prozent in privater Hand.
Privaten Investoren sollte mit der vorgesehenen Verfassungsänderung quasi durch die Hintertür der Weg zum Eigentumserwerb an unserem Bundesfernstraßenvermögen geebnet werden. Das liefe auf die Enteignung gesellschaftlichen Infrastrukturvermögens hinaus. Ginge es lediglich um die Zentralisierung der Aufgaben auf Bundesebene, könnte das auch von einer Gesellschaft öffentlichen Rechts oder einer Bundesbehörde bewerkstelligt werden.
Bisher konnten per Bundesgesetz lediglich sogenannte „funktionale Privatisierungen“ wie das Fernstraßenbauprivatisierungsgesetz (z.B. Öffentlich-PrivatePartnerschaften, ÖPP) oder das Autobahnmautgesetz geschaffen werden. Mit einer privaten Bundesautobahngesellschaft könnten zudem die Regeln der Schuldenbremse nach den Maastricht-Kriterien umgangen werden. Das Entstehen eines Schattenhaushaltes wäre vorprogrammiert. (Vgl. hierzu das im Auftrag des Landes Baden-Württemberg erstellte Gutachten des Frankfurter Verfassungsrechtlers Prof. Dr. Hermes u.a. aus dem Jahr 2016).
Wir haben es im Moment mit einer paradoxen Situation zu tun: Es ist genug Geld da. Es ist sogar mehr Geld da, als ausgegeben werden kann. In manchen Ländern kann vor allem wegen des Fachkräftemangels – es fehlt an qualifizierten Bauingenieuren – nicht in dem Umfang geplant und gebaut werden, wie es nötig wäre. Es kommt hinzu, dass fertig ausgebildete Ingenieure wegen attraktiverer Bezahlung immer wieder frühzeitig von der Industrie abgeworben werden. Banken, Versicherungen und große, weltweit operierende Kapitalgesellschaften schwimmen aktuell im Geld. Händeringend suchen sie nach Möglichkeiten, ihr Kapital gewinnbringend anzulegen. Ein mögliches Investment in unsere Autobahnen böte die Aussicht auf üppige und zudem sichere Renditen. In Frankreich teilen sich den Betrieb der Autobahnen drei große Konzerne. Nach Angaben der französischen Wettbewerbsbehörde belaufen sich deren Renditen auf bis zu 24% jährlich!
Der Bundesrechnungshof warnt vor der Schaffung einer zentralen Infrastrukturgesellschaft: ÖPP-finanzierte Baumaßnahmen sind gegenüber konventionell gebauten Projekten um bis zu 40% teurer. Außerdem lehrt die Erfahrung mit solchen Projekten, dass es deutlich länger dauert bis sie fertiggestellt sind. Auch ADAC und DGB sehen das Vorhaben kritisch.
Angesichts der derzeitigen Nullzinspolitik sind die mit unseren Autobahnen zu erzielenden Renditen sehr verlockend. Hier ist das wahre Motiv für die Schaffung einer Bundesfernstraßengesellschaft zu sehen. Banken, Versicherungen und international tätige Baukonzerne würden den Bau von Autobahnen finanzieren und 30 Jahre lang betreiben. Ihnen sollen die geplanten Pkw-Maut-Einnahmen vollständig zufließen. 48 mittelständische Straßenbauunternehmen in Hessen fürchten nicht zu Unrecht, dass sie bei Ausschreibungen leer ausgehen, und dass zahlreiche Aufträge nur noch an große Baukonzerne zentral von Berlin aus vergeben werden.
Allein für den Aufbau der neuen Infrastrukturgesellschaft wurden Kosten in Höhe von 41 Millionen € veranschlagt. Man rechnet mit einer Übergangsfrist von vier Jahren. Im Jahr 2021 wird der Betrieb aufgenommen. Entstehen wird eine doppelte Verwaltungsstruktur: Die Länder bleiben weiterhin für den Bau, die Verwaltung und den Unterhalt der Bundesstraßen zuständig. Zur Erfüllung sogenannter hoheitlicher Aufgaben wie der Planfeststellungsverfahren, sollen neue Strukturen auf Länderebene geschaffen werden. Es soll künftig 16 Länderabteilungen geben. Diese neuen Länderabteilungen würden parallel zu den bestehenden Straßenbauämtern arbeiten.
Der Aufbau dieser zusätzlichen Kapazitäten ist noch aus einem anderen Grund zweifelhaft: Nach übereinstimmender politischer Überzeugung unserer Verkehrspolitiker geht es in unserem Autobahn-Netz in Zukunft kaum noch um Neubau, allenfalls um Lückenschlüsse. Die neu zu schaffende Infrastrukturgesellschaft würde langfristig also nur noch für den Ausbau und den Erhalt des Bestandsnetzes zuständig sein.
Das Vorhaben ist noch vor der Sommerpause 2017 über die Bühne gebracht worden. Man wollte offensichtlich bis zur Bundestagswahl noch die Mehrheitsverhältnisse der großen Koalition nutzen. Eine breite Diskussion in der Gesellschaft ist bei einem derart tiefen Eingriff in unsere Verfassung eher störend. Vor allem im Bundesrat befürchtete man wegen der zahlreichen grünen Regierungsbeteiligungen Schwierigkeiten, die notwendige Zwei-Drittel-Mehrheit zustande zu bringen.
Interessanterweise ist das ganze Verfahren auf erpresserische Art und Weise mit der vom Bundesverfassungsgericht verordneten Neuordnung des Länderfinanzausgleichs politisch verknüpft worden. Dabei haben die beiden Dinge in der Sache nichts miteinander zu tun. Den Ländern sollen insgesamt 9,75 Mrd. € zusätzliche Mittel aus der Bundeskasse zufließen. Die Zustimmung zur Schaffung einer zentralisierten Bundesfernstraßenverwaltung haben sie sich auf diese Weise abkaufen lassen.
Um in der Zivilgesellschaft Akzeptanz für eine zentrale Infrastrukturgesellschaft zu schaffen, wird den Bürgern vorgegaukelt, dass die Bundesfernstraßen in einem katastrophalen Zustand seien. Es stimmt, unser 13 000 km langes Autobahn-System, in der Mitte Europas, ist an vielen Stellen reparaturbedürftig. In den Wirtschaftswunderjahren hatte niemand die starke Zunahme des Schwerlastverkehrs vorhersehen können. Schuld an dem jetzt beklagten Verschleiß der Brücken und Fahrbahnen ist nicht etwa ein sträflich vernachlässigter Unterhalt durch die Landesstraßenbauämter, sondern der stark gestiegene Schwerlastverkehr. Dabei ist der weitaus überwiegende Teil unserer Bundesfernstraßen keineswegs in einem so beklagenswerten Zustand, wie immer wieder behauptet wird. Man könnte es auch positiv sehen: Trotz der starken Belastung hat die Infrastruktur erstaunlicherweise ziemlich lange gehalten.
Eine ziemlich undurchsichtige Rolle in dem ganzen Verfahren spielt die SPD. Ihr stellvertretender Fraktionsvorsitzender und verkehrspolitischer Sprecher Sören Bartol streut der Öffentlichkeit immer wieder Sand in die Augen. Er sagt, eine Privatisierung sei mit der SPD nicht zu machen, das sei ausgeschlossen. Dabei hat Sören Bartol in seiner Rolle als Vertreter des kleineren Koalitionspartners von Anfang an maßgeblich an der Formulierung des Gesetzentwurfes mitgewirkt. Bedauerlicherweise sind die Täuschungsmanöver der SPD im Zusammenhang mit der Bundesfernstraßengesellschaft einer breiteren Öffentlichkeit so gut wie nicht bekannt gemacht worden. Immerhin gibt es vorsichtige Anzeichen dafür, dass sich an der SPD–Basis – vor allem bei den Jusos -kritische Stimmen gegen den Privatisierungswahn erheben.
Die Schaffung einer zentralen Infrastrukturgesellschaft ist nicht im Interesse der Allgemeinheit. Ein Abbau demokratischer Mitwirkungsmöglichkeiten ist nicht hinnehmbar. Unsere Straßeninfrastruktur ist ein gewachsenes natürliches Monopol, das der grundgesetzlich geschützten Gemeinwohlorientierung und der Daseinsvorsorge dient. Eigentum, Bau, Verwaltung und Unterhalt müssen wie bisher vollständig in öffentlicher Hand bleiben! Um den von den Müttern und Vätern unserer Verfassung vorgesehenen Ortsbezug zu erhalten, muss die Straßenbauverwaltung Ländersache bleiben. Eine zentralisierte Straßenbauverwaltung auf Bundesebene macht die Dinge nicht besser. Im Gegenteil. Es ist davon auszugehen, dass sich die Probleme verschärfen werden. Die von Schäuble, Dobrindt und Scheuer vorgebrachten Argumente für eine zentralisierte Infrastrukturgesellschaft sind wenig überzeugend und die Gegenargumente wiegen umso schwerer.
(Reinhard Ahrens; Niederweimar d. 04.02.2021)
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