BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN

Kreisverband Marburg-Biedenkopf

DRK-Krankenhaus Biedenkopf: Den Hauch einer Chance auf dauerhafte Rettung behalten

29.09.25 –

Die Kreistagsfraktion der GRÜNEN Marburg-Biedenkopf hat sich bei der Abstimmung, ob der Landkreis das Krankenhaus in Biedenkopf vom angeschlagenen DRK-Kreisverband übernehmen soll, enthalten. Zuvor war sie mit ihrem eigenen Antrag, vor der Übernahme die weiter offenen Fragen und Risiken einer Übernahme zu klären, gescheitert. Klaus Denfeld, stellvertretender Fraktionsvorsitzender, stellte in seine Rede im Kreistag die Gründe für eine andere Herangehensweise heraus, die nach Ansicht der GRÜNEN den Weg in eine sichere und adäquate Gesundheitsversorgung im Hinterland ebnen könne. Lesen Sie hier die Rede im Wortlaut.

„Sehr geehrte Damen und Herren, sehr geehrter Herr Kreistagsvorsitzender,

wir waren sehr überrascht über die heftige Reaktion auf unseren Antrag. Der scheint einen wunden Punkt getroffen zu haben. Der Shitstorm, der sich nach Bekanntwerden unseres Konkurrenzantrages über uns ergoss, war gewaltig, wir wären verantwortungslos, sollten vernünftig werden und unseren Antrag zurücknehmen. Vernunft ist laut dem Philosophie-Magazin Online wie folgt definiert: Vernunft kommt vom lat. Ratio „Kalkül, Berechnung“ (deutsch: rational). Die Vernunft ist eine Art des Denkens, die es dem menschlichen Geist erlaubt, seine Bezüge zur Realität zu organisieren. Aus diesem Grund haben wir unseren eigenen Antrag der neuen Realität angepasst, da in der Ausschusssitzung vom Landrat erstmals von einer Deadline des Insolvenzverwalters, man könnte auch sagen, einer finalen Fristsetzung zur Abwicklung der Insolvenz zum  Jahresende gesprochen wurde, die so zuvor noch nicht – zumindest für uns - bekannt war oder über die in einer der Informationsveranstaltungen zum Krankenhaus oder in den Antragsunterlagen formuliert wurde.

Mehr zum Thema Vernunft, später.

Es hilft aber in der Sache nicht weiter jetzt uns eine Schuld zuzuschreiben. Wir sind nämlich nicht verantwortlich für die Misere des DRK und der aktuellen Insolvenz des Krankenhauses in Biedenkopf, noch haben sie diese verursacht, ebenso wenig wie die sich immer wieder ergebenden Defizite aus dem laufenden Betrieb. Wir sind nicht verantwortlich dafür, dass das DRK mehrere Betriebe der Altenhilfe und des Krankenhauses unter einem wirtschaftlichen Dach betreiben, sodass die wirtschaftliche Schieflage eines Teiles die übrigen mitbetrifft. Und wir sind ebenfalls nicht verantwortlich, dass weder der Insolvenzverwalter noch der Landrat trotz intensivster Bemühungen keinen alternativen Träger gefunden haben, der sich in der Lage sieht, das Krankenhaus wirtschaftlich weiter zu betreiben.

Laut statista.com, einem Statistik-Portal zählte das Statistische Bundesamt für 1991 noch rund 2.400 Krankenhäuser in Deutschland. In der letzten zugänglichen Erhebung 2023 waren es laut Statistischem Bundesamt noch 1.874 Krankenhäuser. Durch Klinikschließungen sinkt die Anzahl der Krankenhäuser kontinuierlich weiter. Für das Jahr 2024 wurden 21 Klinikschließungen recherchiert und im ersten Halbjahr 2025 sind weitere 9 Klinikschließungen zu verzeichnen. Somit dürfte es aktuell noch ca. 1.844 Kliniken in Deutschland geben, in anderen Quellen wird eine noch niedrigere Zahl angegeben. Der Rückgang bei der Anzahl der Krankenhäuser beträgt von 1991 bis heute ca. 23 %. Analog sank die Zahl der zur Verfügung stehenden Betten sowie die Verweildauer von Patientinnen und Patienten in deutschen Krankenhäusern. Expertinnen und Experten rechnen damit, dass sich dieser Trend fortsetzen wird, zumal Deutschland im internationalen und europäischen Vergleich immer noch über eine sehr hohe Krankenhausdichte und Bettenkapazität verfügt. Dies betrifft insbesondere Weise kleinere Häuser. Soweit statista.com in Rückbezug auf das Statistische Bundesamt.

Laut Recherche und Bericht von Gesa Coordes in der Ärztezeitung-Online, veröffentlicht am 23.09.2025, halten auch andere Expertinnen und Experten, das nun gewählte Modell für das DRK-Krankenhaus für „nicht zukunftsfähig“ und das Haus für zu klein. Zitat: „So hält Dr. Hans-Joachim Conrad, der 20 Jahre lang kaufmännischer Direktor der Uni-Klinik Marburg und dann Frankfurt war, die Entscheidung für die Übernahme
für fahrlässig: „Diese Struktur ist nicht zukunftsfähig. Das Haus ist zu klein, um es wirtschaftlich zu betreiben“, sagt er. […]" Auch der Verbund von rund 500 Ärzten in der Region - hinter dem Verbund stehen der Verband der Ärzte im Marburger Hinterland und im Wittgensteiner Land, die Ärztegenossenschaft Prima (Landkreis Marburg-Biedenkopf) sowie Haus-, Fach- und Belegärzte aus Biedenkopf und Umgebung - hatte ein anderes Modell vor Augen. Die Übernahme der Trägerschaft des Krankenhauses alleine durch den Landkreis Marburg-Biedenkopf sei „wenig sinnvoll“, schrieben die Mediziner vor einem Jahr. Sie schlugen stattdessen ein Modellprojekt vor, nach dem das Krankenhaus an einen Maximalversorger – die Universitätsklinik Marburg – angeschlossen werden sollte. Damit sollte die Grundversorgung in Biedenkopf bleiben, während die schwereren Fälle und die Rund-um-Versorgung an 365 Tagen im Jahr in Marburg sichergestellt würden. Das Uni-Klinikum hatte allerdings kein Interesse.“ Zitat Ende.

In der Beschlussvorlage des Kreisausschusses zum TOP 6 heißt es in der Begründung, Zitat: „Die zwischenzeitlichen Bemühungen des Insolvenzverwalters bei der Suche nach einem möglichen privaten Interessenten für die Übernahme des Krankenhauses waren nicht erfolgreich. Alle potenziellen Interessentinnen und Interessenten haben sich bereits im Jahr 2024 aus dem Prozess zurückgezogen. Ein weiterer Interessent für die Übernahme des Krankenhauses in Kooperation mit dem Landkreis Marburg-Biedenkopf hat sich im Frühjahr 2025 zurückgezogen. Die Gründe dafür lagen in den aus der Umsetzung der Krankenhausreform resultierenden derzeit nach wie vor unsicheren Rahmenbedingungen für den Betrieb des Krankenhauses in Biedenkopf.“ Zitat Ende.

Damit müssen wir realistisch, d.h. vernünftig wahrnehmen, dass alle Bemühungen, um eine alternative Trägerschaft, die wir ebenfalls ausdrücklich anerkennen, erfolglos geblieben sind. Ob, wie es weiter in der Antragsbegründung heißt, gelingen wird, Zitat, „mittelfristig, einen Übernehmer und/oder einen Partner für den Betrieb des Krankenhauses zu finden“ und Zitat „Die spätere Veräußerung und/oder Umstrukturierung
des Krankenhauses ist – soweit im Rahmen insbesondere der krankenhaus-regulatorischen sowie der sonstigen Vorgaben zulässig – eine Option, die geprüft wird", Zitat Ende, erfolgreich sein wird, verbinden wir angesichts dieser Aussagen und Zahlen mit einem großen Fragezeichen!

Wir begrüßen ausdrücklich das hohe Engagement und den Einsatz des Kreises und des Kreisausschusses im Allgemeinen und des Landrats als Person im Besonderen für die Sicherung einer guten gesundheitlichen Versorgung im Hinterland. Auch wir wollen eine gute medizinische Versorgung dort; niemand hier stellt dies in Abrede! Und natürlich ist viel Fachexpertise in die Beratungen und Planungen eingeflossen und auch der
Prozess der technischen Übergabe ist sehr gut vorbereitet, dennoch möchte ich deutlich machen: Aufgrund der hohen Unsicherheiten bei den Rahmenbedingungen, die die noch immer nicht von der Bundesregierung vorgelegte endgültige Krankenhausreform mit sich bringt, und der nicht hinreichend geklärten Risiken, die der Landkreis mit einer endgültigen Übernahme des Krankenhauses in Biedenkopf auf sich nimmt, halten wir eine Verschiebung der endgültigen Übernahme des Krankenhauses und eine dem vorausgehende, vorübergehende Notfallplanung, soweit dies in Abstimmung mit dem Insolvenzverwalter möglich ist, für unerlässlich.

Um es einmal in der Sprache der Mathematik zu formulieren, die ja als in besonderer Weise als vernunftbasiert gilt: Die heutige Entscheidung über die Übernahme des DRK-Krankenhaus durch den Landkreis Marburg-Biedenkopf in die Hinterland-Klinik gGmbH ist die hinreichende Bedingung für den Fortbestand des Krankenhauses und „heilt“ gewissermaßen den Konstruktionsfehler des DRK, in dem er dieses nicht mehr unter dem Dach mehrerer anderer Gesellschaften z. B. des Kreises betreibt und damit eine Insolvenz einer Teilgesellschaft die anderen, z. B. Integral, außer Acht lässt. Damit rettet der Kreis implizit auch die Altenhilfe und das DRK Biedenkopf, auch wenn dies als Ziel in der Beschlussvorlage so gar nicht genannt ist. Der Kreisausschuss geht optimistisch davon aus, dass es keine dauerhafte Defizitabdeckung geben wird. Sollte es jedoch aus externen Gründen doch nicht machbar sein, muss genau geprüft werden, welche Folgen es hätte, wenn ein Defizit aus kommunal- und beihilferechtlichen Gründen nicht mehr übernommen werden darf. Die vage Aussicht auf eine „schwarze Null“ irgendwann und vielleicht ist eine sehr riskante Wette in die Zukunft.

In den bereitgestellten Unterlagen, in der Informationsveranstaltung und in unseren großen Anfragen bleiben viele Fragen offen. Das geplante Vorhaben ist sowohl wirtschaftlich als auch im Hinblick auf eine langfristig gesicherte gesundheitliche Versorgung im Hinterland hochriskant. Auf unsere mehrfachen Nachfragen konnten wesentlichen finanzielle Planungen und Risiken nicht beziffert werden. Zurück zur Mathematik und zur Vernunftsbasierung: Um überhaupt den Hauch einer Chance zu haben, das Krankenhaus „dauerhaft“ wirtschaftlich betreiben zu können, bedarf es dringend einer Klärung darüber, in welcher
Form dieses betrieben werden kann, welches Leistungsspektrum abgedeckt werden kann, daraus resultierend welches Fachpersonal benötigt und welche dringend erforderlichen Sanierungen des in die Jahre gekommenen Krankenhauses erforderlich sind. Diese notwendigen Bedingungen für einen dauerhaften und nachhaltigen Betrieb werden nun in den Aufsichtsrat und an die neue Geschäftsführung übertragen,
die dann im kommenden Jahr diese unpopulären Entscheidungen treffen und verantworten sollen. Es wäre sinnvoller für alle Beteiligten, hier schon vorher für Klarheit zu sorgen.

Natürlich ist der vorherrschende Wunsch vieler Bürgerinnen und Bürger im Hinterland, einfach das DRK-Krankenhaus zu übernehmen, eine wichtige Größe, aber er muss auch auf eine realistische Machbarkeit hin überprüft werden. Nicht alles, was wünschenswert ist, ist auch machbar; alles andere ist Wunschdenken und gerade nicht verantwortlich und vernünftig! Statt Alternativen einer stationären Versorgung durch Konzepte wie Gesundheitszentren oder Medizinische Versorgungszentren zu prüfen – wie es z. B. im Odenwaldkreis geschehen ist – wurde einseitig auf die Übernahme des Krankenhauses in seiner bestehenden Form gesetzt. Die angedeuteten fachlichen und baulichen Veränderungsvorhaben bleiben vage und werden zudem noch um ein weiteres Jahr gestreckt, obwohl eigentlich jetzt schon final entschieden werden müsste, was erhalten bleiben kann, um daraufhin zeitnah die dringend erforderliche Sanierung genau dieser Bereiche anzugehen, auch um die Attraktivität einer Gesundheitsversorgung vor Ort zu stärken und das Vertrauen darin zurück zu gewinnen.

Mit dieser unkonkreten Vorgehensweise schlagen wir jetzt einen teuren Weg ein, der Zeit kauft, bis irgendwann – vermutlich sehr bald - anerkannt wird, dass ein Betrieb in dieser Form nicht mehr verantwortbar ist. Mittel, die hier verausgabt werden, ohne langfristige Gewährleistung eines stabilen Betriebes, fehlen sowohl für die erforderlichen Sanierungen dort, aber auch andernorts im Kreis schmerzhaft. Um die Größenordnungen zu verdeutlichen, hier ein Beispiel aus der direkten Nachbarschaft: Im Vogelsbergkreis wird das dortige Kreiskrankenhaus in Alsfeld als Basis-Krankenhaus von 2025 bis 2028 komplett neu errichtet, da eine Sanierung wirtschaftlich nicht sinnvoll war. Kostenpunkt knapp 100 Millionen, wovon laut jetziger Planung 43 Millionen vom Vogelsbergkreis getragen werden müssen. Auch im DRK-Krankenhaus in Biedenkopf steckt ein hoher, bisher noch nicht quantifizierter Sanierungsbedarf, der erst nach Übernahme konkret identifiziert und konkretisiert werden soll. Wie hoch, weiß aktuell keiner, zumindest nicht hier im Kreistag, zumal auch noch niemand weiß, wie das Krankenhaus dann fachlich aufgestellt sein wird und was erforderlich sein wird.

Die Beschäftigten des bisherigen DRK-Krankenhauses können sich jetzt zunächst darauf verlassen, von der Gesellschaft des Landkreises übernommen zu werden. Eine langfristig sichere Perspektive ist dies jedoch aus den genannten Gründen nicht. Wir wünschen das nicht. Auch die notwendige Umstrukturierung wird bedeuten, dass es Veränderungen im Personalstamm geben wird. Aber es wäre unehrlich, nicht auf die
unsichere Tragfähigkeit des eingeschlagenen Weges hinzuweisen und darauf, welche Fachlichkeiten eine dauerhafte Perspektive haben könnten.

Wir bitten daher um wohlwollende Prüfung und Annahme unseres Änderungsantrages, gerade auch zum Wohle einer wirklichen langfristigen und dauerhaft stabilen medizinischen, ja und auch verantwortlichen und vernünftigen Versorgung im Hinterland. Vielen Dank.“

(es gilt das gesprochene Wort)

Unsere Termine:

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