Frauenpolitik des Landkreises: "Gewaltschutz darf kein Nice-to-Have sein"

16.12.22 –

Sehr geehrte Frau stellvertretende Kreistagsvorsitzende,
meine Damen und Herren,

Wer mich kennt, weiß: Ich bin ein Fan von Bürgerinnenbeteiligung. Und ich bin froh, Bürgerin eines Landkreises zu sein, der die Bürgerinnenbeteiligung in allen erdenklichen Bereichen zu etablieren versucht. Man könnte gar sagen: Unser Landkreis ist Weltmeister der verbalen Beteiligung! Vor allem wir Kommunalpolitikerinnen der Opposition werden verbal beteiligt. Wir werden gehört, informiert und manchmal dürfen wir sogar bei Entscheidungen mitreden.

Der Kern einer jeden Beteiligung – und da wird mir der Landrat sicherlich zustimmen – ist jedoch, eigene Ideen einzubringen und die ein oder andere gar umgesetzt zu sehen. Jetzt wird man lapidar darauf verweisen, dass die Große Koalition nun mal regiert und eine Beteiligung anderer in dieser Konstellation nicht vorgesehen ist. Das finden wir natürlich bedauerlich und erinnern an dieser Stelle nochmal an die Worte von Detlef Ruffert zu Beginn dieser Wahlperiode, dass man sich ein besseres Miteinander wünscht. Dito.

Die nun vorgetragene Kritik richtet sich somit vor allem gegen die Große Koalition, die mit ihrer Mehrheit immer wieder aufs Neue eine reine Basta-Politik betreibt. Selbst dann, wenn dadurch eigene Beschlüsse, die im Kreistag oder im Kreisausschuss gefasst worden sind, konterkariert werden!

Wie in den Vorreden bereits dargelegt, fiel uns bei der Durchsicht des Haushaltes auf, dass diverse Beschlüsse, die wir hier in diesem Hause oft mit großer Mehrheit über die Parteigrenzen hinweg, beschlossen haben nur unzureichend bis gar nicht im Haushalt stehen. Dass die Groko nun mit einem eigenen Änderungsantrag nachlegt, um uns zu erklären, wie denn nun die Ausführungen im Haushalt eigentlich zu verstehen seien, ist wirklich sehr aufmerksam, aber ändert schlicht nichts an der Tatsache, dass die finanziellen Mittel weder den gefassten Beschlüssen noch den akuten Herausforderungen unserer Zeit gerecht werden! Und nein, wir wollen nicht überall mehr Geld ausgeben und den Haushalt unnötig strapazieren.

Und ja, natürlich wünschen wir uns auch, dass vom Bund finanzielle Mittel zur Umsetzung der Istanbul-Konvention bereitgestellt werden. Aber das hindert den Landkreis doch nicht daran, die Notwendigkeit zu erkennen und im Bereich der freiwilligen Leistungen aktiv zu werden! Denn ob ich der Frauenpolitik einen höheren Wert beimesse und die Frauenberatungsstellen so ausstatte, dass auch die Menschen außerhalb der Stadt Marburg einen guten Zugang erhalten, ist eine Frage des politischen Willens.

So ist es z.B. politischer Wille, dass trotz angespannter Haushaltslage, das eigene Presseheftchen "Mein Landkreis" forgesetzt und zudem der Social-Media-Auftritt massiv auszubaut wird. Das kann man machen, und sicherlich wird es dafür gute Gründe geben. Aber dann hat man eben an anderer Stelle weniger Geld zur Verfügung. Z. B. bei der Gewaltprävention und dem Gewaltschutz. Und diese ausreichend zu finanzieren, dafür gibt es ja eigentlich auch richtig gute Gründe.

Ich zitiere an der Stelle mal unseren Ersten Beigeordneten aus einer Pressemitteilung: Sowohl die EU-Charta der Gleichstellung auf lokaler Ebene als auch die Istanbul-Konvention verlangen den besonderen Schutz und die Unterstützung für Frauen, die von Gewalt betroffen sind. Wahre Worte – auf die dann leider kaum eine Tat folgte. Bis heute gibt es außer mit dem Frauenhaus keine weitere Leistungsvereinbarung zwischen dem Landkreis und freien Trägern in diesem Bereich. Leistungsvereinbarungen sind jedoch das A und O, um überhaupt eine faire Finanzierungsgrundlage zu schaffen. Wenn der Landkreis aber keine Gespräche mit den Trägern führt… Sie merken, die Katze beißt sich in den Schwanz.

Dazu kommt noch, dass der vom Kreisausschuss verabschiedete Aktionsplan zu eben erwähnten EU-Charta sehr konkrete Maßnahmen zur Gleichstellung und Gleichberechtigung der Geschlechter vorsieht. Trotzdem finden sich im Haushalt nicht annähernd genug Mittel, um diese Maßnahmen auch wirklich umsetzen zu können. Immerhin – und das muss man mal loben – gesteht man dem Frauenhaus nun 35.000 Euro im Rahmen der freiwilligen Leistungen zu, um deren so wichtige Arbeit zu unterstützen. Es lässt hoffen, dass das erst der Anfang in dem Bereich war, denn: Der Schutz von Frauen vor Gewalt darf kein Nice-to-Have sein, sondern muss fester Bestandteil einer jeden Politik sein. Wir Frauen sind 50 Prozent der Kreisbevölkerung und wir haben ein Recht auf ein gewaltfreies Leben! Dafür muss unser Landkreis Sorge tragen!

Wofür unser Landkreis natürlich auch Sorge tragen muss, sind die vielen Schulkinder und Lehrkräfte. Nicht ganz 50 Prozent, aber doch eine ganze Menge. Und als Schulträger ist es die ureigenste Aufgabe des Landkreises, dass er sich um seine Schulen auch kümmert und diese zu klimaneutralen und modernen Orten des Lernens und Miteinanders ausbaut. Dafür zieht er Jahr für Jahr die Schulumlage von seinen Städten und Gemeinden ein. Auch von Cölbe. Und dort in der Gemeinde Cölbe gibt es eine Grundschule im Ortsteil Bürgeln, die seit Jahren darauf wartet, dass der hiesige Schuldezernent endlich Haushaltsmittel für die Planung eines Neubaus bereitstellt.

Für alle, die nicht wissen wovon ich genau rede: Die Schule befindet sich im Dorfzentrum neben der Alten Kirche. An Ort und Stelle kann diese baulich nicht erweitert werden. Eine Sanierung im laufenden Schulbetrieb ist unmöglich. Seit Jahren befinden sich Klassencontainer auf dem Schulhof statt spielender Kinder. Die Klassenräume sind gerade zu dieser Jahreszeit entweder nass-kalt oder die Heizung fällt ganz aus. Für das kommende Schuljahr sind schon so viele neue Kinder angemeldet, dass man mit zwei weiteren Klassen planen muss. Um Platz zu schaffen, zwängt man die Nachmittagsbetreuung in einen Raum. Das sind 45 Kinder auf wenigen Quadratmetern. Der dadurch neugewonnene Kellerraum wird zum neuen Klassenzimmer für die Großen. Zwei neue Neubaugebiete in Bürgeln führen zu einem weiteren Zuzug junger Familien mit Kindern. Und on top hat die Schule eigentlich einen inklusiven Ansatz, dem man aktuell kaum gerecht werden kann.

Kurzum: Es ist eine einmalig katastrophale Situation!

Und bevor sich hier jetzt manche Herren empören ob der harten Worte: Sie wissen so gut wie ich, dass schon längst etwas hätte passieren müssen! Das Problem ist nicht neu und wird seit Jahren geschoben. Dieses Katz- und Mausspiel auf dem Rücken der Schulkinder muss jetzt ein Ende finden! Es gibt eine Schulleitung mit Ideen und einen Bürgermeister mit Bauplatz. Was fehlt ist ein Schuldezernent und ein Landkreis, die gewillt sind, 2023 Fakten zu schaffen! Denn moderne Schulen sind auch kein Nice-to-Have, sondern müssen zum Wesen einer jeden Politik gehören. Vor allem dann, wenn man Schulträger ist. Der Fachkräftemangel von morgen lässt sich ganz sicher nicht mit maroden Schulen von heute bekämpfen.

Meine Damen und Herren, liebe Große Koalition, der Haushalt mag in weiten Teilen solide sein, und dennoch bleibt er ausbaufähig. Es sind hier nicht die Millionenbeträge, die für viele Menschen in unserem Landkreis etwas verändern, sondern kleine Summen mit großer Wirkung. Sei es ein begrünter Schulhof in der Pause, die Gewissheit, dass ich mein Rad sicher abstellen kann oder die Möglichkeit, dass mich eine Beratung dort aufsucht, wo ich sie brauche. Wenn schon nicht die Opposition am Haushalt beteiligt wird, dann doch wenigstens die Menschen bei uns im Landkreis mit ihren Bedarfen.

Stimmen Sie unseren Änderungsanträgen zu.

Vielen Dank.

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