Zum Abstimmverhalten zum IFOR Einsatz in Afghanistan

Zum Abstimmverhalten der hessischen Abgeordneten bei der Entscheidung zur Fortsetzung des IFOR Einsatzes in Afghanistan“ vertritt der Vorstand der GRÜNEN in Marburg-Biedenkopf die folgende Position in einem offenen Brief an die Abgeordneten:


Liebe Freundinnen und Freunde,

die Kreismitgliederversammlung Marburg-Biedenkopf von Bündnis 90 / Die Grünen hat sich am 03.09.2007 ausführlich mit der Afghanistanfrage befasst. Sie hat einstimmig die Delegierten der Sonder-BDK beauftragt, sich dafür einzusetzen, dass dem von der Großen Koalition aus taktischen Gründen verknüpften Beschluss über ISAF und Tornados nicht zugestimmt wird, auch wenn grundsätzlich der ISAF-Einsatz befürwortet wird, unter der Voraussetzung, dass er wieder auf Friedensicherung und Schutzaufgaben beschränkt wird. Dies ist der Grund, weshalb wir Euren Brief an die hessischen Mitglieder nicht unkommentiert lassen wollen.

Die von Euch vorgetragenen Argumente haben uns nicht überzeugt:

1.      Zwar hat die BT-Fraktion eine Reihe wichtiger Impulse gesetzt, wie die Große Anfrage zu Afghanistan. Aber uns hat dennoch verwundert, warum sich „unsere“ MdBs nicht an die Spitze jener gesetzt hat, die immer wieder und mit großem Nachdruck den Ausbau der zivilen Strukturen gefordert haben mit einer dafür notwendigen Erhöhung der Mittel. Dass Deutschland mehr als doppelt so viel für die militärischen Maßnahmen aufbringt als für den zivilen Aufbau (Jürgen Lieser, Hilfsorganisation Caritas International, zuständig für Katastrophenhilfe / humanitäre Hilfe und stellvertretender Vorsitzender von Venro, stellt sogar fest, dass die Kosten für die deutsche Beteiligung an der internationalen Afghanistan-Truppe ISAF und den Tornado-Einsatz in diesem Jahr 530 Millionen Euro betrugen und nur rund 100 Millionen Euro für den zivilen Wiederaufbau aus Bundesmitteln zur Verfügung standen), dass die Unterstützung dieses zivilen Aufbaus nachweislich bisher viel zu gering gewesen ist, hätte Grund genug sein können, durch die Nichtzustimmung zur Beschlussvorlage der Bundesregierung ein Zeichen zu setzen. Wir hätten es uns gewünscht, dass die Grünen „laut“ an der Spitze mit den NGOs und Menschenrechtsorganisationen genannt werden, die ihre Enttäuschung über die zu geringen Aufbauleistungen Deutschlands zum Ausdruck bringen. ISAF kann in diesem Kontext nur Mittel zum Zweck sein und nicht bloße Voraussetzung, der alles andere nachgeordnet ist.

2.      Wenn sich die Fraktion vorgenommen hat, die BDK-Entscheidung zu respektieren und es Eurer Meinung nach eine Mehrheit gegen den Beschluss geben wird, ist es für uns doch verwunderlich, warum die hessischen MdBs geschlossen für den Einsatz plädieren. Es erscheint uns eigentümlich, dass sich ausgerechnet bei den hessischen MdBs nicht das widerspiegelt, was politische Auffassung ihrer hessischen Wählerinnen und Wähler ist. Da gibt es keine 100% für den „Doppelbeschluss“ ISAF plus Tornado. Das Argument mit der Gewissensfreiheit ist so richtig wie wohlfeil.

3.      Ihr argumentiert für Eure Entscheidung mit Äußerungen aus Afghanistan, dass die Menschen dort nicht zwischen deutschen Tornados und ISAF-Einsatz differenzieren. Die Behauptung ist äußert fraglich, da es auch andere Beobachter vor Ort wie der von Euch kritisierte Baraki (dazu im nächsten Punkt) gibt, die wahrgenommen haben, dass es von Seiten der Afghanen seit dem Tornado-Einsatz der Deutschen eine andere Haltung gegenüber den deutschen Soldaten gibt. Weiterhin vergesst Ihr dabei, dass Menschen in Afghanistan wenig über die verschiedenen Parteien im Bundestag wissen, dass den wenigsten bekannt sein dürfte, dass es „Die Grünen“ gibt. Und Ihr vergesst vor allem, dass die Menschen in Deutschland sehr wohl unterscheiden, ob die Grünen dem Einsatz von Tornados zustimmen oder nicht.

4.      Ihr bezieht Euch für Eure Entscheidung auf von Dritten wiedergegebene Äußerungen des Vorsitzenden des Marburger Ausländerbeirats Matin Baraki (der in Afghanistan geboren wurde, dort studiert und dann als Lehrer gearbeitet hat. 1995 promovierte er in Marburg. Seither ist er Lehrbeauftragter an der Philipps-Universität Marburg im Bereich Politikwissenschaft, Soziologie, Friedens- und Konfliktforschung und nahm u.a. als Afghanistanexperte an der Anhörung im Europa-Parlament zum Thema Afghanistan-Einsatz teil).
Wir halten dies für ein ganz besonders zweifelhaftes und dünnes Argument: wie könnt Ihr aus seiner Unterschrift zu einem Wahlaufruf für Pit Metz (DKP, PDS, Marburger Linke) auf die Falschheit seiner Aussagen zu Afghanistan schließen – ein demagogischer Trick.

5.      Obwohl Ihr feststellt, dass bisher von der Bundesregierung keine Evaluation der Tornado-Einsätze erfolgt sei, Ihr also auch nicht wisst, was dort passiert ist, verlasst Ihr Euch auf vage Äußerungen, dass die „Tornados keine schlechten Nachrichten produziert“ hätten, auch hier orientiert Ihr Euch stärker an einer von Dritten kolportierten Meinung in Afghanistan, statt an der öffentlichen Meinung in Deutschland.

6.      Ihr begründet Eure Entscheidung unter anderem mit den Äußerungen wichtiger Menschenrechtsorganisationen wie Medico International. Deren Position gebt Ihr aber nur einseitig und verkürzt wieder. Wenn Ihr Euch darauf beruft, dass, "Menschenrechtsorganisationen wie Humans Right Watch, medico international oder die Gesellschaft für bedrohte Völker,   in ihren Stellungnahmen deutlich machen, dass ISAF einen wichtigen Beitrag für Sicherheit und Wiederaufbau in Afghanistan leistet", solltet Ihr nicht vergessen zu erwähnen, dass z.B. medico international eine klare Skepsis gegenüber dem Afghanistan-Einsatz gezeigt hat. Sie erklären, dass ISAF einen wichtigen Beitrag leistenkönnte sofern damit auch für die Entmachtung der Warlords gesorgt würde und es parallel zu einer wirtschaftlichen und entwicklungspolitischen Offensive käme. Bliebe letztere aus, wäre es besser die Soldaten sofort zurück zu ziehen.

7.      Es geht uns wie gesagt nicht um die Beendigung des ISAF-Einsatzes, der egal wie Ihr abstimmt, auch nicht gefährdet ist, sondern darum, dass deutlich würde, für die Grünen ist der ISAF-Einsatz nur Mittel zum Zweck des Aufbaus von Afghanistan. Die Chance, dies deutlich zu machen, vertut Ihr. Im Zentrum Eurer Argumentation hätte stehen können oder müssen, was Ihr beiläufig auf S. 4, 4. erwähnt. Ihr hättet unserer Ansicht nach den hessischen Wähler deutlich machen müssen, dass das zentrale Ziel der Grünen ein Strategiewechsel in Afghanistan ist mit dem dringend erforderlichen Aufbau ziviler Strukturen, der Entwicklung alternativer Existenzchancen für die Opiumbauer (statt der Verstreuung von Pestiziden) und einer Verstärkung der Anstrengungen zur Einbindung der oppositionellen und talibanischen Kräfte. (Stattdessen sorgt Ihr Euch um eine Wahrnehmung, bei der wir nicht wissen, wer sie eigentlich hat, „die Grünen würden den ‚Exit’ der Bundeswehr aus Afghanistan vorbereiten“.)

8.      Wir haben kein Verständnis für Eure Kollektiventscheidung als hessische Abgeordnete, vor allem auch deshalb, weil Ihr wie oben bereits gesagt, es versäumt habt, Euch als Repräsentanten der hessischen Grünen aufzustellen, die keineswegs alle Eurer Auffassung sind. Wir gehen davon aus, dass es mindestens 50 % sind, die Euch nicht zustimmen. Wir können auch nicht verstehen, wie Ihr ausgerechnet so kurz vor den hessischen Landtagswahlen uns hessische Grüne in die eine Ecke stellt, die die Kritik an den Tornado-Einsätzen für so gering hält, dass sie sich darüber hinwegsetzt. Ihr habt uns alles andere als einen guten Dienst damit erwiesen.

Marburg, den 9. Oktober 2007

Christa Perabo

Matthias Knoche

Parteisprecher des Kreisvorstands Marburg-Biedenkopf

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